Muriel Mueller liebt es, mit Kindern zusammenzuarbeiten und mit ihnen Zeit zu verbringen. Als Museumspädagogin ist sie für die Entwicklung und Durchführung von Kinder- und Familienangeboten verantwortlich und jeden Tag von dutzenden Kindern umgeben. Sie liebt es genauso, in ihrer Freizeit mit ihren fünf Neffen und Nichten Ausflüge zu unternehmen oder sich um ihre drei «Gottichinde» zu kümmern.
Dennoch ist sich die 36-Jährige bei einer Sache sicher: Sie selbst will niemals Kinder haben.
Schon als Kind hat sich Muriel nie gewünscht, eines Tages Mutter zu sein. Und auch später, als Teenagerin und schliesslich in ihren 20ern, kam der Wunsch nach eigenen Kindern bei ihr nie auf.
Als Muriel 22 Jahre alt war, stellte ihre damalige Frauenärztin eine Fehldiagnose: hohe Vorstufe von Gebärmutterhalskrebs. Damals habe ihre Ärztin ihr gesagt, dass sie in den nächsten drei Jahren schwanger werden müsse, falls sie denn Kinder wolle. Später würde es nicht mehr gehen, weil man ihr die Gebärmutter entfernen müsse.
«Im ersten Moment war ich perplex und dachte, dass ich nun unbedingt schwanger werden sollte. Denn sonst werde ich nie Mutter werden. Vielleicht würde ich das dann irgendwann bereuen.» Doch dann setzte sich der Schock und Muriel kam zu ihrer eigentlichen Überzeugung zurück: Sie will gar keine Kinder.
Ihr damaliger Freund sei sich in dieser Frage nicht sicher gewesen. Doch er akzeptierte Muriels Entscheid. Die Familie von Muriel setzte sie ebenfalls nicht unter Druck, sondern ermutigte sie, sich damit auseinanderzusetzen und sich selbstbestimmt zu entscheiden.
Dieses Erlebnis beschreibt Muriel heute als Schlüsselmoment. Sie sagt: «Es stellte sich zwar heraus, dass das eine Fehldiagnose war und ich eigentlich keinen Zeitdruck hatte, Kinder zu bekommen. Doch an meiner Entscheidung änderte das nichts.»
Wenig später, als Muriel 23 Jahre alt war, kam in ihr zum ersten Mal der Wunsch auf, sich unterbinden zu lassen. Sie hatte ihre Frauenärztin nach der Fehldiagnose gewechselt. Sie begann, sich intensiver mit der Verhütung auseinanderzusetzen. Denn mit hormonellen Verhütungsmittel, wie beispielsweise der Pille, hatte Muriel schlechte Erfahrungen gemacht, da sie diese nicht vertrug. Deshalb hat sie ihren damaligen Frauenarzt gefragt, ob eine Unterbindung eine Option wäre.
«Mein Arzt wies mich ab. Es sei noch viel zu früh, bei einer so jungen Frau würde dieser Eingriff nicht durchgeführt. Ich solle warten, bis ich mindestens 30 Jahre alt bin.»
Muriel akzeptierte den Entscheid ihres Frauenarztes und dachte, dass sie ohnehin keine andere Wahl hatte. Denn auch bei ihrer eigenen Recherche zu dem Thema stiess sie immer wieder auf die Leitlinie, dass man mindestens 30 Jahre alt sein sollte. Dennoch liess sie nicht locker und fragte den Arzt regelmässig, ob man nicht doch eine Unterbindung durchführen könne.
Dann kam der Tag, an dem Muriel 30 Jahre alt wurde. Damals dachte sie: «So, jetzt ist es endlich so weit. Endlich bin ich alt genug, dass man meine Entscheidung akzeptiert.» Doch Muriel sollte sich irren. Wieder hiess es, sie sei noch zu jung für den Eingriff. Sie solle warten, bis sie 35 Jahre alt ist. «Je länger ich warten musste, desto absurder fand ich die Situation. Ich bin ein selbstbestimmter Mensch. Weshalb kann ich nicht entscheiden, ob ich mich unterbinden lasse oder nicht?»
Der Arzt sagte ihr, dass man ein psychologisches Gespräch führen müsse, wenn man sich so jung unterbinden lassen möchte. Denn bei vielen Frauen käme doch noch ein Kinderwunsch auf. Muriel fügte sich ein weiteres Mal.
Doch ein Gesetz, das den Ärztinnen und Ärzten vorschreibt, dass man eine Sterilisierung erst ab 30 Jahren vornehmen darf, gibt es nicht. Ebenso gibt es kein Gesetz, in dem normiert ist, dass eine Frau zwingend ein psychologisches Gutachten oder Gespräch braucht, bevor sie sich dem Eingriff unterzieht. Im betreffenden Bundesgesetz steht: «Die Sterilisation einer über 18-jährigen urteilsfähigen Person darf nur vorgenommen werden, wenn diese über den Eingriff umfassend informiert worden ist und diesem frei und schriftlich zugestimmt hat.»
Muriel musste sich noch einige Jahre gedulden. Heute ist sie 36 Jahre alt – vor einem Jahr konnte sie sich unterbinden lassen. Sie hatte in der Zwischenzeit nochmals den Frauenarzt gewechselt.
Doch auch vor diesem Eingriff habe die neue Frauenärztin sie nochmals gefragt, ob sie sich denn wirklich sicher sei und nicht noch warten wolle, bis sie 39 Jahre alt ist.
«Da wurde ich zum ersten Mal etwas wütend. Ich spürte seit 20 Jahren, dass ich keine Kinder möchte. Wenn ich mit 39 Jahren doch noch dieses Bedürfnis bekommen sollte, Mutter zu werden, wäre das denn wirklich die richtige Entscheidung?»
Der Eingriff wurde im Sommer 2022 durchgeführt. Als sie das Spital nach dem Eingriff verliess, war sie erleichtert und fühlte sich befreit.
Bevor sich Muriel unterbinden liess, habe sie niemand, der nicht in ihrem engsten Umkreis ist, wirklich ernst genommen, als sie gesagt hatte, dass sie keine Kinder möchte. Oftmals ältere Personen hatten dann jeweils gesagt: «Das kommt schon noch.»
Oft müsse Muriel sich auch rechtfertigen, warum sie keine Kinder möchte. «Ich finde das speziell, dass vor allem die Frauen hinterfragt werden, wenn sie keine Kinder möchten. Bei meinem Partner haken die Leute nicht so sehr nach wie bei mir.»
In der Beziehung war der Eingriff nie ein Problem: Als Muriel ihren aktuellen Partner kennenlernte, stand für sie bereits fest, dass sie keine Kinder möchte und sich unterbinden lassen würde. Das teilte sie ihrem Partner bereits mit, bevor sie miteinander eine Beziehung eingingen: «Mir war wichtig, dass auch er seine persönliche Entscheidung diesbezüglich treffen kann.» Die Unterbindung war schlussendlich für beide die richtige Option.
Lange habe sie das Gefühl gehabt, dass sie eine Erklärung für ihre Kinderlosigkeit brauche. Inzwischen konnte sie das ablegen. «Ich muss mich gar nicht rechtfertigen. Genauso wie andere Frauen unbedingt Mutter werden wollen, ist mein Lebensentwurf, dass ich keine Kinder möchte.»
Heute ist Muriel glücklich, dass sie den Eingriff vorgenommen hat: «Seit der Unterbindung ist kein Tag vergangen, an dem ich mich nicht darüber gefreut habe, endlich ein selbstbestimmtes Leben zu führen.»
Ich fühle mich immer ein wenig wie ein Alien, weil ich scheinbar die einzige bin, die sich aus Kindern nichts macht. So oft versuchte ich, in mich hinein zu hören, ob da nicht ein klitzekleiner Wunsch ist. Aber nichts, nada.
Schön zu lesen, dass es offensichtlich auch anderen ihr Leben lang so geht!